Im Rheinischen Revier gab es in den letzten Jahren viele Diskussionen und auch Gerichtsprozesse um Enteignungen für den Kohleabbau, allen voran um den Bauern Eckhardt Heukamp in Lützerath. Vor zehn Jahren ging es in einem wegweisenden Verfahren des BUND NRW um eine Obstwiese, letztes Jahr um einen Landwirt. Doch die unterschiedlichen Fälle hatten eins gemeinsam: Immer ging es um Enteignungen für den Abbau von Kohle.
Im Rheinischen Revier drohen jedoch auch noch Enteignungen und sogar Umsiedlungen für den Abbau von Sand und Kies für die Rekultivierung von Bergbauflächen – nicht für den Abbau von Kohle.
Seit Jahren stehe ich politisch an der Seite der Bergbaubetroffenen und auch wir Grüne haben uns auf unserem Parteitag in Siegen 2021 „ für die Abschaffung von Zwangsumsiedlungen und Enteignungen für Kohle, Sand und Kies“ ausgesprochen. Ich wollte aber gerne auch wissen, wir die rechtliche Situation rund um Enteignungen für die Rekultivierung eingeschätzt wird. Eines meiner vielen Privilegien als Abgeordnete ist, dass ich die Möglichkeit habe, beim Parlamentarischen Berater- und Gutachtungsdienst (PBGD) des NRW-Landtages Ausarbeitungen auf Fragestellungen zu beauftragen.
Das von mir beauftrage Gutachten wurde vom renommierten Prof. Walter Frenz von der RWTH Aachen verfasst und heute veröffentlicht. Es kann vollständig auf als Parlamentspapier des Landtags online gelesen werden – hier möchte ich die wichtigsten Aussagen des Textes zusammenfassen. Im Ausgangspunkt hängen der Abbau von Kohle und der Abbau von Rekultivierungsmaterial im Bundesbergrecht (BBergG) zusammen. §77 BBergG sagt, dass ein Bergbauunternehmen sowohl für den Abbau der Kohle, als auch für das Wiedernutzbarmachen der Oberfläche eine Grundabtretung, also eine Enteignung und gegebenenfalls Umsiedlung von Betroffenen, beantragen kann. Ob dieser Antrag bzw. eine Genehmigung der Grundabtretung allerdings rechtens ist, muss im Einzelfall unter Berücksichtigung des insgesamten Gemeinwohls abgewogen werden. Wie im Zweifelsfall Gerichte über die neue Rechtslage entscheiden ist dabei offen, da solch ein Fall im Revier bisher nicht vorlag. Damit eine Enteignung bzw. Umsiedlung rechtmäßig ist, müssen am Ende die Belange des Gemeinwohls für eine Inanspruchnahme diejenigen für einen Erhalt bzw. der Eigentümerrechte überwiegen. Das Bundesbergrecht wird übrigens gerade endlich reformiert – ich setze mich dafür ein, dass der Abbau fossiler Rohstoffe und Enteignungen für den Bergbau in der neuen Fassung ausgeschlossen werden.
Das Gutachten führt drei große Themenkomplexe an, die in der Gemeinwohlabwägung gegen eine Enteignung sprechen. Aber bereits davor ist klar: die beste Lösung für den Tagebau, die Rekultivierung und unser aller Revier ist eine, die ohne langwierige Gerichtsprozesse auskommt. Ich appeliere daher an RWE, eine enteignungsfreie Tagebauplanung für das gesamte Revier vorzulegen. Auch die neue Leitentscheidung der Landesregierung zum Rheinischen Revier sagt, dass „so wenig intakte Fläche wie möglich für den Braunkohlentagebau in Anspruch genommen werden“ und ein „flächenoptimiertes und massensparendes Wiedernutzbarmachungskonzept“ erarbeitet werden soll.
Massive Belastung bei Zwangsumsiedlung
Am Tagebau Hambach plant RWE die Abgrabung des Manheimer Lochs direkt zwischen dem Hambacher Wald und dem FFH-Schutzgebiet Steinheide um Sand und Kies, unter anderem zur Aufschüttung von Terrassen und einer Hafenanlage im geplanten Tagebausee, abzubauen. Obwohl Kerpen-Manheim (alt) in den letzten Jahren von RWE fast komplett zerstört wurde, wohnen dort nach wie vor Menschen. Ich wohne ja selber in Kerpen-Buir und Kerpen ist mein Wahlkreis – die Menschen in Manheim sind also quasi meine Nachbarn.
Einer von ihnen hat auch schon öffentlich klargestellt, dass er nicht freiwillig sein Dorf verlassen will. In dem Haus, in dem er wohnt, wurde er auch geboren und hat dort fast sein ganzes Leben lang gewohnt. Doch für den Abbau droht für ihn der Verlust des Hauses und eine Zwangsumsiedlung.
Das Gutachten macht klar, dass dies ein massiver Grundrechtseinschnitt wäre: „Noch stärker als Grundabtretungen [also bspw. Enteignungen von Ackerflächen, A.G.] greifen Umsiedlungen ein, etwa wenn noch landwirtschaftliche Hofstellen […] für die Gewinnung von Abraummassen und Löss in Anspruch genommen werden sollen: Bei der Abwägung sind nach Art. 14 GG das konkrete Ausmaß der Umsiedlungen und die mit ihnen für die verschiedenen Betroffenen verbundenen Belastungen zu berücksichtigen“.
Vermutlich können sich nur direkt Betroffene vorstellen, welch immense Belastung es ist, seinen Lebensmittelpunkt für die Bagger im Tagebau zu verlieren. Damit die Wunden im Rheinischen Revier endlich heilen können und alle Akteure endlich Rechtssicherheit haben, muss RWE am Tagebau Hambach so planen, dass insbesondere die bewohnte Hofstelle in Kerpen-Manheim (alt) erhalten bleibt. Der umsiedlungsbedrohte Landwirt wohnt nur 150 Meter von der Manheimer Kirche entfernt. RWE hat bereits 2021 geäußert, dass ein Erhalt der Kirche „machbar“ ist. Ich gehe daher davon aus, dass das Unternehmen auch so planen kann, dass der Erhalt der bewohnten Hofstelle machbar wird. Es wäre völlig unverständlich, wenn RWE für so eine kleine Fläche einen langwierigen Gerichtsprozess mit offenem Ausgang gegen den Landwirt sucht.
Bloße Verschiebung von Bodenvertiefungen
Auf der Fläche des von RWE geplanten Manheimer Lochs will RWE Sand und Kies abbauen, um anderswo Flächen zu rekultivieren. Allerdings müssen danach auch die Flächen des Manheimer Lochs selbst rekultiviert werden – das Problem wird also nur verschoben, nicht gelöst.
Hierzu findet das Gutachten klare Worte: „Indes nützt ein Abtragen von Abraummassen und Löss nichts, wenn neue Aushebungen verbleiben, die dann wiederum rekultiviert werden müssen. Dann wird die Problematik nur verlagert. Ein Zurückbleiben von Bodenvertiefungen an anderer Stelle ist nicht im öffentlichen Interesse. Dieser öffentliche Belang steht dann einer Enteignung entgegen und muss mit hinreichendem Gewicht in die erforderliche Gesamtabwägung einbezogen werden“, denn „das Gemeinwohlinteresse an der Wiedernutzbarmachung nicht so ausgeprägt, wenn diese Problematik nur verschoben wird, mithin keine vollständige und umfassende Neutralisierung der Folgen des Braunkohleabbaus erfolgt, sondern an benachbarter Stelle Landschaftseingriffe verbleiben.“ Im Fall des Manheimer Lochs könnte dies dazu führen, dass nicht nur die Hofstelle erhalten bliebe, sondern die gesamte Planung auf den Prüfstand gestellt würde: „Das Verbleiben von Bodenvertiefungen außerhalb des Kohleabbaugebiets bildet damit nicht nur einen der Enteignung entgegenstehenden Belang, sondern dieser tastet auch das Gesamtkonzept einer abschließenden Bereinigung der Folgen des Braunkohleabbaus an“.
Erhaltenswerte Biotope
Der Bereich zwischen dem Hambacher Wald und dem Wald Steinheide ist Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Im Zukunftsvertrag für NRW haben wir Grüne mit der CDU vereinbart, dass wir eine „großflächige Waldvernetzung im südlichen Teil des Tagebaus Hambach“ bilden. Auch hierfür müssen die entsprechenden Flächen und bereits existierenden Grünstrukturen, beispielsweise entlang der alten Autobahn A 4, erhalten und nicht abgebaggert werden. Wie wertvoll die Habitate und Ökosysteme am Tagebau sind hat der BUND NRW in einer Vogelbrutkartierung erforscht. Durch das Manheimer Loch würden „ein Lebensraum für mehr als 50 Brutvogel-Arten des Offenlandes zerstört, dem gemäß avifaunistischer Bewertung eine sehr hohe (für alle Arten) bzw. sogar überragende Bedeutung (für die Arten der Roten Liste) zukommt.“
Das Gutachten hält den Erhalt solcher Biotope für einen Gemeinwohlbelang, der gegen eine Enteignung spricht: „Ein öffentlicher Belang ist auch der Erhalt von Biotopen, die sich während des Bergbaus gebildet haben. Sie dürfen nicht ohne Weiteres zugeschüttet oder sonst wie beeinträchtigt werden. Angesichts der Klimarelevanz der Artenvielfalt ist dieser Aspekt auch bei der Wiedernutzbarmachung verstärkt einzubeziehen“. Dass „die durch den Bergbau abgetragenen Oberflächenareale als solche bestehen bleiben, kann im Einzelfall im öffentlichen Interesse […] liegen, so wenn sich besondere Biotope gebildet haben“.
Konsens statt Konflikt
Mit der massiven Belastung durch eine Umsiedlung, insbesondere aus dem Zuhause und Geburtshaus, der bloßen Verschiebung der zu rekultivierenden Fläche und dem Erhalt schützenswerter Biotope, sprechen nach meiner Auffassung drei wesentliche und gewichtige Gründe gegen die derzeit von RWE verfolgte Planung des Manheimer Lochs.
Niemand will, dass die Tagebauplanung schon wieder vor Gericht landet. Mit der neuen Leitentscheidung hat die Landesregierung das letzte Kapitel der Braunkohle eröffnet und auch für einen gelingenden Strukturwandel sollten wir den Blick jetzt nach vorne richten können. Ich freue mich daher, dass das Gutachten anregt, „inwieweit nicht eine Verständigung der verschiedenen Interessengruppen und Beteiligten angezeigt ist, um langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zu verhindern und den Vorgang des Braunkohletagebaus im Rheinland durch eine möglichst zügige Wiedernutzbarmachung abzuschließen, in deren Gefolge dann auch umso schneller Bergbaufolgelandschaften entstehen und eine Anschlussnutzung erfolgen kann“.
Als erste Schritte dieser sinnvollen Verständigung und Versöhnung muss der von RWE angezeigte Bedarf an Massen dem enteignungsfrei verfügbaren Angebot an Massen gegenübergestellt werden. Im Konfliktfall müssen Optimierungen am Rekultivierungskonzept gefunden werden, wie sie in der neuen Leitentscheidung der Landesregierung für den Tagebau Garzweiler bereits vielfach vorgeschlagen werden. Für den Tagebau Hambach schlägt ein bereits vorliegendes Fachgutachten „eine vom Bergbaubetreiber unabhängige Verifizierung der benötigten 45 Mio. m³ gewinnungsseitigen Vorschüttung (Gewinnungsböschung vor dem Hambacher Forst)“ und eine Überprüfung der „Massen- bzw. Volumenbilanz nach dem ersten Betriebsjahr der Absetzer […] (Ende 2022 bzw. Anfang 2023)“ vor.
Weitere Verringerungen des Massenbedarfs sind durchaus vorstellbar, insbesondere wenn man bedenkt, dass Sand und Kies aus dem Tagebau Hambach zur Zeit auch verkauft und nicht nur für die Rekultivierung eingesetzt wird. Das Gutachten sagt mit Blick auf die landwirtschaftliche Rekultivierung außerdem, dass bei der Aufstellung neuer Haupt- und Abschlussbetriebspläne „unter Umständen auch zu prüfen [ist], inwieweit die Konzeption der Wiedernutzbarmachung anzupassen ist. Aufgrund der verkleinerten Abbaufläche im Gefolge des früheren Kohleausstiegs ist der anfallende Abraum wesentlich geringer. Daher sind unter Umständen verkleinerte Wiedernutzbarmachungen im Hinblick auf weiteren Ackerbau vonnöten“.
Als Anwohnerin am Tagebau, als Abgeordnete aus Kerpen und als Grüne stehe ich fest an der Seite der Bergbaubetroffenen. Ich hoffe, mit dem von mir in Auftrag gegebenen Gutachten einen Beitrag hin zu einem sozialverträglichen und enteignungsfreien Ende der Tagebaue in unser aller Revier geleistet zu haben und danke dem parlamentarischen Gutachterdienst und Herrn Prof. Frenz für ihre Arbeit.
Das Gutachten ist hier als Parlamentsdokument des Landtages aufrufbar.
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